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Sport Helden über Helden

Warum Muhammad Ali für Boris Becker der Größte ist

Chefreporter
Quelle: APA
Sporthelden wie Franz Beckenbauer oder Boris Becker wurden Idole für Millionen. Dabei bewundern auch sie Menschen, Ikonen des Sports, Vorbilder des Lebens. In einer neuen Serie von WELT.de sprechen prominente Sportler über ihre Helden. Teil eins: Boris Becker über Boxlegende Muhammad Ali.

WELT ONLINE: Herr Becker, wie wurde Muhammad Ali Ihr Idol?

Boris Becker: Ich wurde nachts von meinem Vater geweckt, um ihn boxen zu sehen. Aber noch mehr als den Boxer bewundere ich den Menschen Muhammad Ali.

WELT ONLINE: Weil Ali ein sehr charismatischer Mensch ist? Das sind Sie auch.

Becker: Ich möchte mich wirklich nicht mit ihm vergleichen. Das wäre wohl ein bisschen zuviel der Ehre. Ali ist ein Sportler, den ich seit nun 39 Jahren verfolge, bewundere, zum Teil live erlebe. Er ist für mich die herausragende Sportlerpersönlichkeit, er ist meine Sportikone überhaupt. Eben, weil er mehr ist als nur Sportler, er ist ein Phänomen. Was Muhammad bewegt hat, welche Botschaften er rübergebracht hat, welche Entscheidungen er getroffen hat, auch gegen die eigene Karriere - das würde sich heute keiner mehr trauen, das ist einmalig.

WELT ONLINE: Sie meinen, als sich Ali in den USA gegen den Vietnam-Krieg aussprach und sogar den Wehrdienst verweigerte?

Becker: Absolut. Nehmen wir doch mal Ronaldinho, den wohl derzeit besten Fußballspieler der Welt. Stellen Sie sich vor, dass er aufgrund einer politischen Entscheidung seines Landes sagt: "Nein, ich verzichte auf die Champions League mit Barcelona, ich verzichte auf die Weltmeisterschaft mit Brasilien - ich trete in den Streik." Nicht nur, dass er seinen Sport nicht mehr ausüben durfte, sie haben Muhammad ja sogar ins Gefängnis gesteckt. Eine solche Dimension kann man sich heutzutage gar nicht mehr vorstellen.

WELT ONLINE: Aber Ali trat auch offen für Gewalt ein. Er war der Meinung, für die Rechte der Schwarzen müsse Blut fließen. Er war für Kampf, nicht für den Dialog.

Becker: Er war ein schwarzer Boxer, groß geworden in den Südstaaten. Die Eltern arbeiteten noch auf den Baumwollfeldern. Er hatte nie die gleichen Rechte wie weiße Kinder und Jugendliche. Die meisten vergessen, woher sie kommen - er nicht. Als er Boxweltmeister wurde, sprach er genau die Probleme an, die ihn sein Leben lang beschäftigten. Und zwar ohne Rücksicht auf Verluste.

WELT ONLINE: Muhammad Ali hieß eigentlich Cassius Clay. Er wechselte seinen Namen, nachdem er zum Islam konvertiert war.

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Becker: Bewundernswert! Stellen Sie sich vor: Wenn das heute einer machen würde, er wäre doch ausgestoßen von der Gesellschaft. Der würde nirgendwo mehr eingeladen werden. Muhammad aber war das egal. Was er als Sportler aus Überzeugung riskiert hat, das macht ihn als Menschen für mich so einzigartig.

WELT ONLINE: Ali sagte über sich: "Ich fliege wie ein Schmetterling und steche wie eine Biene." Welchen Vergleich würden Sie für sich im Tennis suchen?

Becker: Eigentlich ist Alis Satz sogar aufs Tennis übertragbar. Tennis ist auch ein Einzelsport, du bist allein da draußen, kannst dich nicht auswechseln lassen. Wir müssen unsere Gegner auch immer wieder piesacken, bis wir sie dann schlagen, und irgendwann muss es auf dem Platz einen Knockout geben. Dieses Leichtfüßige und doch Dominante lässt sich wirklich miteinander vergleichen.

WELT ONLINE: Also kann man Tennis spielen wie Ali geboxt hat?

Becker: Ja, Roger Federer tut das. Er tanzt über den Tennisplatz wie einst Ali im Ring. Er hat die gleiche Leichtigkeit bei seinen Siegen.

WELT ONLINE: Sehen Sie Parallelen zu sich und Ali? Sie wählten auch nicht immer den bequemsten Weg in Ihrem Leben.

Becker: Ich beantworte diese Frage mal so: Bei Roger Federer gibt es sportlich derzeit nichts auszusetzen. Aber: Er ist nur Sportler. Als Persönlichkeit, als Mann, als Ikone muss man aber eine Meinung haben zu Dingen des Lebens. Viele Menschen hören dir zu. Sie wissen: Du reist viel und hast dadurch einen ganz anderen Horizont als sie. Ich würde mir von Federer wünschen, dass er ein wenig politischer wird. Dass er die Position, die er sich erarbeitet hat, ausnutzt, um auch andere Themen anzusprechen. Das habe ich immer gemacht und tue es auch heute noch. Weil ich trotz aller Preisgelder, Erfolge und Werbeverträge nie vergessen habe, was mich als Mensch interessiert. Wenn ich nach einer Parallele zu Muhammad suche, dann ist es diese: Ich habe meine Meinung zur Rassenproblematik, ich lebe danach und werde dafür kritisiert, bis heute.

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WELT ONLINE: Ali sagte von sich: "Ich bin der Größte!" War das sportlich fair gegenüber den anderen Boxern?

Becker: Das war seine Art. Er hat das natürlich mit viel Charme gemacht. Wenn du als Einzelsportler nicht glaubst, dass du der Beste bist, wer soll es denn sonst glauben? Muhammad Ali hat das eben perfektioniert. Ich vermisse so etwas heutzutage, viele Sportler stapeln tief. Sie reduzieren sich, sagen nicht, was sie vorhaben, was sie gewinnen wollen. Sie nehmen sich den Druck, indem sie sagen, sie würden erst mal schauen. Ich sehe es als Zeichen starker Persönlichkeiten, den anderen zu sagen: "Hier, ich bin derjenige, der gewinnen wird!"

WELT ONLINE: Muhammad Ali hat den Islam als die einzige Religion des Friedens bezeichnet. Ob er heute noch genau so reden würde, wenn er könnte?

Becker: Ich glaube, beim Islam muss man vieles differenzieren. Es gibt ja da nicht nur eine Glaubensrichtung, sondern viele. Es gibt sehr friedliche, aber auch - wie in jeder Religion - die fanatischen, die extremen Gläubigen. Grundsätzlich würde ich sagen, dass es in Religionen kein Richtig und auch kein Falsch gibt. Wenn man in den Geschichtsbüchern nachschlägt, findet man einiges, das auch wir Christen falsch gemacht haben.

WELT ONLINE: Haben Sie Ali persönlich getroffen, konnten Sie mit ihm reden?

Becker: Ja. Er hatte mitbekommen, dass ich ein Faible für schwarze Menschen habe, und darüber haben wir lange gesprochen. Ich habe ihm erzählt, dass ich es schwerer dadurch in Deutschland habe. Hätte ich eine schöne blonde, blauäugige Bayerin geheiratet, wäre sicher vieles für mich leichter gewesen. Das habe ich ihm erklärt.

WELT ONLINE: Wann trafen Sie sich?

Becker: In Wien, beim World Sports Award 1999. Da war er Ehrengast. Wir haben uns am Abend lange unterhalten und uns dann für den nächsten Morgen in seiner Hotelsuite zum Frühstück verabredet. Dort waren wir dann ein bisschen unter uns und sprachen. Ich war noch verheiratet, Barbara war auch dabei, seine Frau ebenfalls. Wir haben dann über das Farbenproblem in der Welt gesprochen. Dass Menschen erst einmal nach ihrem Äußeren beurteilt werden.

WELT ONLINE: War dieses Gespräch der Auslöser dafür, dass Sie sich zu Ali hingezogen fühlen?

Becker: Nein, Boxfan war ich schon immer, Ali-Fan auch.

WELT ONLINE: Wann haben Sie Ali zum bislang letzten Mal gesehen?

Becker: Vor gar nicht so langer Zeit. Ich war im Madison Square Garden in New York, als Wladimir Klitschko dort kämpfte. Ali war auch da.

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